Länger leben: Man ist nie zu jung für das Alter

Dr. Melanie H. Adamek • Sept. 12, 2023

Länger leben: Man ist nie zu jung für das Alter und nie zu alt, um jung zu bleiben

Die Lebenserwartung steigt und steigt. Frauen werden zurzeit im Schnitt gut 84, Männer gut 79 Jahre alt. Ob wir diese Jahre vital und lebensfroh genießen können, hängt von unserer Gesundheit ab, vom „Schicksal“ und unseren Lebensbedingungen – aber auch davon, wie sehr wir unseren Lebensstil schon in jungen Jahren auf das Alter ausgerichtet haben. Denn: Man ist nie zu jung, um sich rechtzeitig auf das Altwerden vorzubereiten. Ist man aber irgendwann zu alt dafür?

Länger leben: Man ist nie zu alt, um jung zu bleiben

Mit 30 ist alles vorbei: Der Körper und sein Elefantengedächtnis

Ende 2018 berichtete die Ärzte-Zeitung, die Deutschen hätten mit 78,2 (Männer) und 83,1(Frauen) Jahren unter den Westeuropäern die niedrigste Lebenserwartung. Das ginge aus der Auswertung einer WHO-Studie hervor, für die alle weltweit verfügbaren Quellen zur Sterberate zusammengetragen wurden. Dennoch sei, global betrachtet, die Lebenserwartung zwischen 1950 und 2017 um fast 50 Prozent gestiegen.


Das ist schon enorm. Und klar ist auch: keiner will alt, vor allem nicht im im Sinne von krank und gebrechlich, sein.

Die magische Schwelle zum gesegneten Alter ist für viele Epidemiologen das 30. Lebensjahr. Ab hier vergisst der Körper nichts mehr – ob Rauchen, Alkohol oder zu fettes Essen. Wohl dem, der da schon vorgesorgt hat. 


Tatsächlich läuft das Leben oftmals anders. Man gibt Gas in der Arbeit. Übernimmt Extraaufgaben und Extraschichten. Stress? Häufig ein Fremdwort. Herausforderung? Ja, mehr davon. Man will sich beweisen, weiterkommen, eine Familie gründen, im Alter gut leben können, natürlich auch Party machen, Konzerte besuchen, in der Sonne liegen und und und.


Vieles davon, vor allem in Kombination, ist der Gesundheit nicht unbedingt zuträglich. Was nun? Ist ab 30 wirklich alles schon gelaufen? Nein, natürlich nicht! Der Körper hat zwar ein Elefantengedächtnis, aber er ist auch ein dankbares Geschöpf.

Der 6-Punkte-Plan für jedes Alter

In "psychologie heute" wurden sechs Grundregeln für ein langsames Altwerden – basierend auf Ergebnissen der Gerontologie (Altersforschung) – herausgefiltert. Je früher wir diese Regeln beherzigen, desto jünger werden wir im Alter sein. Doch andersherum funktioniert es auch: Es ist nie zu spät, jung zu bleiben.

1. Unabhängig sein und bleiben

Das gilt in jedem Lebensabschnitt: Es ist von großer Bedeutung, sich möglichst wenig von anderen abhängig zu machen, sondern stattdessen über sein Leben selbst zu bestimmen. Sich selbst spüren, seine Wünsche entdecken und befriedigen, sich nicht ständig der Kritik und den Mäkeleien anderer aussetzen – das sind wichtige Voraussetzungen für die Entstehung einer Lebensautonomie, die die Flamme aktiven Lebens brennen lässt.

2. Moderat leben

Wer viel Alkohol trinkt, raucht und zu viele Pfunde mit sich herumschleppt, muss mit einer reduzierten Lebenserwartung rechnen. Wissenschaftler raten, mit zunehmendem Alter mit den Genüssen des Lebens sparsamer umzugehen. Beispiel Essen. Wem es gelingt, weniger zu essen, der drückt damit auf die Altersbremse. Denn weniger Essen bedeutet, dass unsere Zellen weniger Sauerstoff benötigen. Der Sauerstoff produziert chemisch reaktive Verbindungen, die sogenannten „freien Radikalen“, die zellschädigend und damit altersfördernd wirken. Wer jedoch Essen zu seinen Leidenschaften zählt, sollte wenigstens viel Obst und Gemüse und wenig Fleisch essen. Denn die Vitamine A, C und E sind gut darin, freie Radikale zu bekämpfen.

3. Aktiv bleiben

Ist Ihnen auch schon aufgefallen, dass in Fitnessstudios immer mehr Menschen mittleren Alters zu sehen sind? Was die tun, wird oftmals weniger unter „Vorbereitung auf das Alter“ als unter „so lange wie möglich jung und knackig bleiben“ einzustufen sein. Aber egal. Hauptsache fit. In jedem Lebensalter können Menschen ihre Lebensqualität durch Bewegung verbessern und Krankheiten wie Diabetes, Osteoporose, Bluthochdruck, Herzinfarkt vorbeugen. Ob Jogging, Walking, Schwimmen, Tanzen oder gezieltes Muskeltraining – erlaubt ist alles, was einem ein gutes Gefühl gibt und nicht überfordert (im Zweifel berät der Arzt). Wenn man sich täglich rund 30 Minuten in Bewegung setzt, hat man schon viel erreicht. Vieles, was das Alter beschwerlich machen kann, hat mit einer schwächer werdenden Muskulatur zu tun. 

4. Sich begeistern können

Was das Alter so angenehm macht, ist, dass manch’ jugendliche Aufgeregtheit verschwindet und einer wunderbaren, wohltuenden Gelassenheit Platz macht. Allerdings: Büßen Sie nicht Ihre Neugierde ein. Erhalten Sie sich immer Ihre Begeisterungsfähigkeit, berauschen Sie sich an den Leistungen anderer, an Kunstexponaten und gelungenen Inszenierungen und wenn Sie irgendetwas nicht verstehen: Fragen Sie nach!

Verzichten Sie auch nicht auf moderne Kleidung oder Einrichtungsgegenstände, wenn sie Ihnen gefallen. Den Gedanken „Dafür bin ich zu alt“ sollten Sie komplett aus Ihrem Wortschatz verbannen. Denn wer sich „zu alt“ fühlt, ist es auch und befördert damit den Alterungsprozess, den er doch so gerne verzögern würde. 

5. Stolz sein

Ein starkes Selbstwertgefühl ist Gold wert. Es bewahrt vor grüblerischem Selbstzweifel, vor Depressionen und einem krank machenden Gefühl der Hilflosigkeit. Wer sich seines Wertes bewusst ist, kann sich freuen: über den gestürmten Gipfel, den Jogginglauf am Morgen, die Fähigkeit, Freundschaften zu schließen. Klopfen Sie sich also ruhig zumindest ab und zu auf die Schulter!

6. Einzigartig sein

Das Alter lässt sich gut mit der Erntezeit vergleichen. Die Erfahrungen, die wir gesammelt haben, all’ unsere Erlebnisse und unser Werdegang formen uns zu einer unverwechselbaren Persönlichkeit, die umso mehr Ausstrahlung hat, je authentischer und einzigartiger sie ist. Nicht Konformität und Anpassung, sondern Individualität und Einzigartigkeit machen uns interessant für uns selbst und für andere und befördern damit soziale Kontakte, die wir brauchen, um mitten im Leben zu bleiben und nicht zu vereinsamen.
Das Alter lässt sich gut mit der Erntezeit vergleichen

Krank oder gesund. Abrupte Lebensstilveränderungen sind selten erfolgreich

Jeder kennt es, jeder hat es schon erlebt: Man beginnt mit den besten Vorsätzen, strampelt sich - der Gesundheit zuliebe - ab und endet dann doch wieder in seinen alten Gewohnheiten. Der innere Schweinehund hat wieder einmal zugeschlagen, so richtig krank ist man ja schließlich auch nicht. Was ist eigentlich Gesundheit? Reicht bereits die Abwesenheit von Krankheit, um gesund zu sein? 


Der Medizinsoziologe und Begründer der „Salutogenese“ Aaron Antonovsky will diese Frage mit dem „Gesundheits-Krankheits-Kontinuum“ beantworten. Nach diesem Modell ist ein Mensch nicht gesund oder krank, vielmehr bewegt er sich eher zum gesunden oder zum kranken Pol. Kompassnadel ist der persönliche Lebensstil, den Gewohnheiten prägen. Diese wiederum sind durch Veranlagung, Erziehung und Vorbilder entstanden. 


In welche Richtung ein Mensch seine Kompassnadel nutzt, wird also von seiner Lebenseinstellung bestimmt. Wer Risikofaktoren wie Stress gut auffangen kann, erkrankt weniger oder gesundet schneller. Es geht vor allem in der Gesundheitsförderung also nicht darum, Menschen Einzelmaßnahmen aufzuzwingen, die bei anderen Menschen hervorragend funktionieren. Gesundheitsförderung muss Menschen unterstützen, die eigenen Kräfte kennenzulernen, zu nutzen und auszubauen. 


Antonovsky spricht vom „Kohärenzsinn stärken“. Einen starken Kohärenzsinn hat derjenige, der davon ausgeht, dass es sich lohnt, Aufgaben zu bewältigen und sein Schicksal in die Hand zu nehmen. Wer so denkt, hat sehr gute Chancen, seine Lebensführung in Richtung Gesundheit auszurichten.

Kurs auf die Salutogenese: Im Wald sein und auf frische Gedanken kommen

Eine aktuelle Metastudie (Näheres im Sachbuch IM-WALD-SEIN) kommt zwar zum Ergebnis, ein grüneres Umfeld als solches sei nicht zwingend mit gesteigerter körperlicher Aktivität verbunden. Fakt sei aber, dass man sich im Grünen mehr als sonst bewegt und mehr Lust dazu hat. Eine andere Studie zeigt (ebenfalls Sachbuch IM-WALD-SEIN): Insbesondere Kinder und ältere Menschen profitieren vom Naturkontakt. Bei Kindern fördern Naturkontakte wichtige Fähigkeiten wie Problemlösungskompetenz oder Kreativität sowie soziale und intellektuelle Kompetenzen. Vergleiche von Kindern, die Kindergärten in städtischen Umgebungen besuchen, mit Waldkindergarten-Kindern zeigen, dass letztere eine höhere Aufmerksamkeitskapazität haben und höher entwickelte intellektuelle (kognitive) Fähigkeiten. Ältere Menschen dagegen haben ganz andere Probleme. Naturkontakte können hier eine wichtige Ressource für die körperliche, geistige und seelische Gesundheit sein und die Lebensqualität steigern.

Erst neulich schrieb uns ein älterer Herr, der zwar noch nie Shinrin Yoku oder Waldbaden praktiziert hat, aber viel Im-Wald-Sein, vor allem beim Wandern. Er schrieb etwas sehr Berührendes: Er könne sich nicht mehr so gut bewegen und genösse es sehr, auf einer Parkbank zu sitzen und das Im-Wald-Sein-Programm zu hören. Dabei kämen ihm so viele schöne Kindheits- und Jugenderlebnisse in den Sinn, die allesamt in der Natur und im Wald stattgefunden haben. Zwischendurch lausche er den vielen Vogelstimmen und fühle sich unbeschwert und leicht. Das nennen wir Empowerment!

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