Helden haben damit kein Problem: Sie trauen ihrer Intuition, handeln danach – und heiraten zum Schluss die Prinzessin. Der innere Ruf, die Eingebung, ist der erste Schritt auf der Heldenreise. Ob die Hobbits und ihre Gefährten im „Herrn der Ringe“ aufbrechen, um den einen Ring im unheimlichen Land Mordor zu vernichten, ob Kolumbus sich entschließt, trotz erlittener Gefahren zu einer weiteren Seereise aufzubrechen oder ob Luke Skywalker im „Krieg der Sterne“ seinen Heimatplaneten verlässt, um die entführte Prinzessin Leya zu befreien (die er gar nicht kennt): Es ist immer der Sieg der inneren Eingebung über den Verstand, der den Helden vorwärtstreibt.
Erst danach tritt der Verstand auf den Plan: Sei es als „innerer Schweinehund“, der mit Argumenten die Gefahr beschwört und zur Umkehr rät, sei es als ängstlicher Begleiter, der zwar dem Helden nicht von der Seite weicht, aber alle Katastrophen benennen kann. Der Held jedoch – und das ist allen Märchen, Sagen und Abenteuergeschichten gemeinsam – trotzt diesen „Dämonen des Widerstands“ und lässt sich von seiner Intuition nicht abbringen. Gegen alle Wahrscheinlichkeiten setzt er sich durch – bis zum endgültigen Sieg. Nur ein Märchen?
Was steckt hinter dem „Bauchgefühl“, das so viel schneller als der Verstand ist? Eine ganz einfache Definition sagt: Intuition ist schnelles, unmittelbares Wissen. Der Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften (2002) Daniel Kahnemann beschreibt das intuitive Denken als „wahrnehmungsähnlich, schnell und mühelos“, während das logische Denken – die Domäne des Verstandes – eher aufwendig und langsam ist und mithilfe dessen man sich den „Kopf zerbrechen“ kann.
In Zeiten, in denen es auf Fakten, Fakten, Fakten ankommt, wird die Intuition meist eher schlecht bewertet. Dabei gehört sie zu unserem täglichen Leben und ermöglicht rasche Orientierung. Schon das Erkennen eines Gesichtes ist eigentlich ein hochkomplexes Geschehen. Doch schneller als ein Scanner erfassen wir unser Gegenüber und erkennen es als einen Bekannten, den wir schon seit Jahren nicht mehr gesehen haben. Alle Merkmale wie Form, Farbe, Tiefe werden von den unterschiedlichsten Regionen unseres Gehirns erfasst und – einem Wunder gleich – sekundenschnell zusammengesetzt.
Denken wir doch nur an den Anfang einer Liebe. Sie ist eigentlich eines der großen Menschheitsrätsel: die Liebe auf den ersten Blick. Aber Psychoanalytiker beurteilen sie längst als Fähigkeit des Unbewussten, Unbewusstes irrtumslos zu erkennen. Mit „geistergleicher Genauigkeit“, schreibt der Paarexperte Michael Lukas Moeller in seinem Standardwerk Wie die Liebe anfängt , wählt man aus einem Kreis von Menschen denjenigen, den zwei Eigenschaften auszeichnen: die Möglichkeit, eine prägende Beziehung – z.B. die Beziehung, die man mit einer wichtigen Bezugsperson hatte – neu zu inszenieren und die Aussicht, sie mit diesem Menschen nach und nach aufzuheben, sprich: sich weiterzuentwickeln.
Unsere zwei Gehirnhälften repräsentieren zwei unabhängige Wahrnehmungssysteme: Das Bewusstsein operiert in der linken Gehirnhälfte und versteht die Umwelt mithilfe von Logik. Es ist die Art zu denken, die uns vertraut ist. Die rechte Gehirnhälfte wiederum ist die Heimat von Assoziation und Gefühl. Sie wirkt im Hintergrund – und schaltet sich bei „Bedarf“ von selbst ein. Zum Beispiel auf einer Büroparty.
Während wir uns (mit der linken Gehirnhälfte) auf den Witz des Gegenübers konzentrieren und ihm folgen, scannt die rechte Hälfte andere Reize, ohne dass wir das realisieren. Fällt aber irgendwo in unserer Nähe ein Stichwort, das uns persönlich angeht – zum Beispiel wenn der Chef im Verschwörungsstil spannende Interna weitergibt –, schalten wir blitzschnell um, lassen den Witz Witz sein und hören mit „langen Ohren“ dem Gespräch zu, das gar nicht für uns bestimmt ist.
Manche Menschen sind besser darin, Gedanken und Gefühle eines anderen zu erfassen, als andere. Sie haben ihre Intuition perfektioniert und verfügen über die sogenannte emotionale Intelligenz. Das kann damit zusammenhängen, dass sie den anderen genau kennengelernt haben; nach zwanzig Jahren Ehe weiß man halt, was die hochgezogene Augenbraue des Partners bedeutet. Das kann aber auch seinen Grund darin haben, dass sich die emotional Intelligenten immer wieder vergewissert haben, ob sie mit ihrer Vermutung richtig lagen. So gehört es zur Ausbildung von Lehrern, Psychologen oder Polizeibeamten dazu, zum Beispiel in Rollenspielen per Rückmeldung zu erfragen, ob die vermutete Befindlichkeit des Gesprächspartners dessen tatsächlicher innerer Situation entspricht.
Intuition vermittelt jedoch auch eine Schein-Sicherheit. Wir glauben zu wissen, wie sich diese oder jene Mimik bei einem Fremden deuten lässt und schließen allzu oft aus dem ersten Eindruck eines Bewerbers auf dessen Arbeitsmoral und Persönlichkeit. Sätze wie „Das hätte ich nie von dem gedacht“ sind immer wieder Zeichen dafür, dass uns unsere Erfahrung auf den Holzweg geschickt hat. Besonders häufig versagt die Intuition, wenn es um den vertrautesten Menschen geht: um uns selbst. Fragen Sie mal ein Brautpaar angesichts der Scheidungsstatistik nach der Wahrscheinlichkeit des Scheiterns der soeben begonnenen Ehe. Oder achten Sie darauf, wenn in einem Sporthotel frisch gebackene Wanderer ihre erste richtige Tour planen. Sie werden oft finden, dass Selbstüberschätzung und Realitätsferne Triumphe feiern.
Am besten fahren wir, wenn wir versuchen, beide Gehirnhälften miteinander zu versöhnen. Wenn wir auf unsere Intuitionen achten, erfahren wir, was wir wirklich wollen. Ob das die für uns beste Lösung ist? Dazu sollten wir unseren Verstand heranziehen. Denn auch Intuitionen sind nicht in jedem Fall der Weisheit letzter Schluss. Aber genießen dürfen wir es schon, dass wir über einen Mechanismus verfügen, der es uns ermöglicht, rasch Orientierung zu finden und uns unserer Persönlichkeit entsprechend zu verhalten.
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